SeMoSys macht Flugzeugbau flexibler, ergonomischer und digitaler - FFT Produktionssysteme, TU Hamburg und Airbus

Die Vorrichtung, die bei Airbus in Nordenham in einer Halle steht, erinnert ein klein wenig an das Stargate aus der gleichnamigen SciFi-Serie. In einem mehrere Meter hohen Metallgestell steckt ein drehbarer, zwei Meter fünfzig breiter Ring. Doch der soll nicht in fremde Galaxien führen, sondern den irdischen Flugzeugbau revolutionieren.

Damit ein Flugzeugrumpf Gestalt annimmt, ist präzise Montage gefragt. Vorgefertigte Strukturelemente werden zu Rumpfschalen vernietet; die fertigen Segmente dann zusammengefügt; Systemkomponenten installiert und dann auch riesige Komponenten wie die Bordküche integriert. Ohne Kran geht da nicht viel. Und dass die Nietpistole oft auch über Kopf geführt werden muss, lässt sich kaum vermeiden. „Arbeiten mit einem Kran ist immer eine sicherheitstechnische Herausforderung und auch die körperliche Belastung für die Monteure ist nicht zu unterschätzen“, sagt Dr. Christian Kulik, der die Technologieabteilung bei Airbus in Nordenham leitet. „Deshalb wollten wir ein völlig neues System entwickeln, mit dem sich die Segmente für Flugzeugrümpfe künftig besser montieren lassen.“

 

„Mit unserem System lassen sich Fehler reduzieren und die Arbeitsschritte protokollieren.“

Damit war das Projekt SeMoSys geboren. Die Idee: Es sollte eine ringförmige Bodenstation entstehen, in der sich die einzelnen Rumpfsegmente einspannen lassen und die dann wie ein Riesenrad gedreht werden können. Das erlaubt den Mechanikern, das Rumpfsegment immer in die optimale Position zum Bearbeiten zu bringen – und das ganz ohne Kran. Doch das war nicht ganz so einfach, wie es klingt. „Unsere größte Herausforderung war es, trotz dieser Drehbarkeit die engen Toleranzen im Flugzeugbau einzuhalten“, sagt Wolfgang Teichert von FFT Produktionssysteme. Das Unternehmen ist darauf spezialisiert, Montagelinien für die verschiedensten Industrien zu entwickeln und zu bauen. „Dafür haben wir gemeinsam mit dem Fraunhofer IFAM ein Toleranzkonzept entwickelt und den gesamten Stahlbau modular aufgebaut – inklusive klappbarer Strukturen, damit das fertige Bauteil am Ende auch wieder rauskommt.“

Die Mechanik war dabei aber nur ein Teil des LuFo-Projekts. Ein anderer Schwerpunkt war ein digital vernetztes Assistenzsystem für die Werkzeugführung. „Dazu haben wir die handgeführten Werkzeuge ein Stück weit intelligent gemacht“, erzählt Simon Piontek, der das Projekt für das Institut für Produktionsmanagement und -technik an der TU Hamburg vorangetrieben hat. „Das erkennt seine Position im Raum per Ultraschall und lässt sich nur betätigen, wenn es an der richtigen Stelle angesetzt wird und alle Parameter stimmen.“ Einen Niet an der falschen Stelle zu setzen, gehört damit der Vergangenheit an. „Wir reden über weit mehr als 230.000 Nietbohrungen pro Flugzeug“, sagt er. „Mit unserem vernetzten System aus smartem Handwerkzeug, Positionssensor und digitalem Assistenzsystem lassen sich nicht nur Fehler und Informationsaufwände reduzieren, sondern auch die Arbeitsschritte luftfahrtgerecht protokollieren.“ Denn die zugehörige Software erzeugt einen digitalen Zwilling des Baufortschritts – inklusive aller vorgeschriebenen Dokumentationen.

„Mit LuFo hat man Spielraum für echte Innovationen.“

Mechanik in höchster Präzision, ausgeklügelte Sensortechnik, KI-gestützten Bildauswertung, digitale Zwillinge, neue Konzepte für die Kabelverlegung und die Modularisierung der Bordküche – all das schreit förmlich nach einem multidisziplinären Spezialistenteam. Und die haben sich für SeMoSys zusammengefunden. Neben Airbus, FFT und der TU Hamburg reichen sich so auch das Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM, Diehl Aviation und das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in die lange Liste der Projektpartner.

Koordiniert wurden die vielen Unteraufträge von Simon Piontek, für den SeMoSys mehr als ein Forschungsthema war: „Ich konnte mein Promotionsthema in der Praxis mitentwickeln“, erzählt er. Kurz nach Abschluss wechselte er dann zur Lufthansa Industry Solutions. „Das war ein echter Brückenschlag. Jetzt kann ich als Projektleiter im Bereich Digital Assistant Solutions weiter auf den gesammelten Erfahrungen aufbauen.“ Und auch für Wolfgang Teichert war das Projekt ein Übergang: Nach 17 Jahren bei FFT markierte SeMoSys seinen letzten Einsatz vor dem Ruhestand. „Das Projekt war für uns ein echter Höhepunkt – technologisch, aber auch menschlich“, resümiert er. „Die Zusammenarbeit im Team hat einfach gestimmt. Wir haben über Unternehmensgrenzen hinweg gedacht und gemeinsam Lösungen entwickelt.“

Dass das überhaupt möglich war, schreiben die Beteiligten vor allem der LuFo-Förderung zu. „Sie erlaubt es uns, Dinge auszuprobieren, für die im Serienbetrieb kein Raum wäre“, sagt Christian Kulik. „Man kann Risiken eingehen und unkonventionell denken. Man hat eben Spielraum für echte Innovation. Und genau das brauchen wir, wenn wir den Flugzeugbau in Deutschland voranbringen wollen.“

„Manchmal muss man einfach den Mut haben, den Kreis neu zu denken.“

Noch erlaubt der Demonstrator in Nordenham nur zweieinhalb Meter lange Rumpfsektionen – gerade groß genug, um die wesentlichen Effekte zu erkennen. Doch das Ziel ist größer: Airbus prüft derzeit, wie sich das System auf vollständige Rumpfsektionen von zehn bis 14 Metern skalieren lässt und wie sich durch Kippen der Vorrichtung zusätzliche Rumpfgeometrien montieren lassen.

Auch andere Teilaspekte – etwa die Integration der Rohrsysteme, die digitale Werkzeugführung oder die modularen Küchenbausteine – sollen in neue Entwicklungsprojekte einfließen. „Wenn wir weiterdenken, könnten wir nicht nur die Sektionsmontage revolutionieren, sondern auch die Systemintegration optimieren“, wagt Christian Kulik einen Blick in die Zukunft. In jedem Fall hat SeMoSys Spuren hinterlassen – bei den Menschen, in der Technologie und in der Luftfahrtforschung. Oder wie er es formulierte: „Manchmal muss man einfach den Mut haben, den Kreis neu zu denken.“

Text: Kai Dürfeld

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