Alles begann mit einer privaten Leidenschaft fürs Fliegen – und Drang, Technik neu zu denken. Als Maschinenbauunternehmer Engelbert Dreiling gemeinsam mit seiner Tochter Anja und seinem Sohn Sven den Pilotenschein macht, ist es zunächst ein Familienprojekt. Doch bald wird mehr daraus: ein eigener Hubschrauber, der auf ein koaxiales Rotorsystem setzt – eine Bauweise, die im Westen selten ist.
„Wir hatten keinerlei Erfahrung in der Luftfahrt“, sagt Anja Ernst, die 2011 die edm aerotec GmbH gründete. „Und es gab damals noch nicht einmal gesetzliche Grundlagen für Ultraleicht-Hubschrauber.“ Trotzdem gelingt dem kleinen Unternehmen aus dem thüringischen Geisleden der Bau eines zertifizierten Fluggeräts – dem CoAX 2D, den sie später zum CoAX 600 weiterentwickeln. Bis heute ist edm aerotec das einzige Unternehmen in Deutschland, das Ultraleicht-Hubschrauber baut.
Im Zentrum der Entwicklung steht das Koaxialrotorsystem: Zwei gegenläufige Rotoren auf einer Achse erzeugen gemeinsam den Auftrieb – ganz ohne Heckrotor. „Ein konventioneller Heckrotor braucht Leistung, ohne zum Schub beizutragen“, sagt Benedikt Grebing, Entwicklungsleiter bei edm aerotec. „Bei uns fließt die komplette Motorleistung in den Auftrieb.“ Und das ist nicht alles: Der untere Rotor saugt zusätzlich Luft aus dem Abstrom des oberen an – was die Gesamtleistung weiter erhöht. „Insgesamt erreichen wir mit derselben Motorleistung rund 20 Prozent mehr Schub als ein konventioneller Hubschrauber“, erzählt der Entwicklungsleiter.
Dieser Effizienzvorteil ist für das Unternehmen mehr als nur ein technisches Argument. Denn im UL-Bereich sind Reichweite, Gewicht und Verbrauch entscheidend – jeder Prozentpunkt zählt. „Unsere Maschinen sind dadurch nicht nur leistungsfähiger, sondern auch sparsamer und leichter zu fliegen“, sagt Anja Ernst. Im Einsatz sind sie unter anderem bei Flugschulen, Sicherheitsdiensten und dem Technischen Hilfswerk – überall dort, wo Verlässlichkeit zählt und der Betrieb wirtschaftlich bleiben muss.
Mit dem LuFo-Projekt TIGeR (Technologie innovativer gegenläufiger Rotoren) will edm aerotec nun das Koaxialsystem weiterentwickeln. Partner ist das DLR in Braunschweig – dort entstehen die aerodynamischen und aeromechanischen Berechnungen, während in Geisleden die Konstruktion und Fertigung läuft. „Die neuen Rotorblätter sind deutlich komplexer aufgebaut als unsere bisherigen“, sagt Benedikt Grebing. „Das war eine echte Herausforderung – sowohl im Design als auch in der Herstellung.“
Die Arbeit erfolgt in Schleifen: Geometrien werden entworfen, simuliert, angepasst – bis die Daten passen. Das Ziel: mindestens zehn Prozent Effizienzgewinn gegenüber dem bestehenden System. „Wenn uns das gelingt, hätten wir einen echten Technologiesprung“, freut sich Benedikt Grebing. „Die Effizienz eines Hubschraubers hängt maßgeblich am Rotor – da lohnt sich jede Optimierung.“
Für ein kleines Unternehmen sind solche Entwicklungen allein kaum zu stemmen. „Die Entwicklung unseres ersten Hubschraubers haben wir komplett privat finanziert“, erzählt Anja Ernst. „Aber bei hoch spezialisierten Projekten wie TIGeR brauchen wir starke Forschungspartner – und Förderung.“ Die LuFo-Mittel ermöglichen es, wissenschaftliche Expertise an Bord zu holen, zum Beispiel von der TU München oder der Universität Stuttgart. Gleichzeitig bringen die Geisledener ihre Praxiserfahrung in die Forschung ein – ein Zusammenspiel, das beiden Seiten nützt.
Bis Januar 2026 soll TIGeR abgeschlossen sein – dann liegen auch die Messergebnisse vor. Sollte sich der erwartete Effizienzgewinn bestätigen, will edm aerotec die Erkenntnisse in ein neues Produkt überführen. Denkbar sind auch Folgeprojekte: etwa zur Rotorautomatisierung oder zur Strömungsbeeinflussung. „Es gibt noch viel zu erforschen“, sagt Benedikt Grebing. Und während anderswo vor allem simuliert wird, entstehen in Geisleden handfeste Fluggeräte – mit gegenläufigen Rotoren und einem klaren Ziel: mehr Effizienz, mehr Stabilität, mehr Praxisnähe.
Text: Kai Dürfeld